EU Clean Industrial Deal: Wird Europa die nächste industrielle Revolution anführen?

Von unserem Planeten über Interessengruppen bis hin zu Ihrer Wertschöpfungskette - der Druck nimmt kontinuierlich zu. Gleiches gilt für die neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich vielen Unternehmen bieten, sobald Energie und Emissionen von einem Kostenfaktor zu einem neuen Geschäftsmodell werden. Unterdessen stehen energieintensive und andere Branchen in Europa unter zunehmendem Druck, wettbewerbsfähig zu bleiben, da sie mit hohen Energiepreisen, steigenden Netztarifen und den für die Dekarbonisierung erforderlichen Investitionen zu kämpfen haben – und das alles, während die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Energie zu kritischen Themen geworden sind. Wird der im Februar 2025 veröffentlichte Clean Industrial Deal (CID) die angestrebte Entlastung und Orientierung bieten?

Die beeindruckende Vergangenheit und Zukunft der industriellen Entwicklung Europas

Europa hat mit der industriellen Revolution, bei der Großbritannien in den 1760er Jahren zunächst eine Vorreiterrolle einnahm, eine einzigartige Industriegeschichte. Mit dieser Revolution wurden weltweit viele effiziente und stabile Fertigungsprozesse eingeführt und skaliert. Der große Vorsprung hatte jedoch letztlich komplexe ökologische Folgen, darunter den weltweit höchsten kumulativen Fußabdruck, der durch zweieinhalb Jahrhunderte Treibhausgasemissionen entstand.

Heute stehen die Industrien der EU vor immer größeren Herausforderungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, während die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Energie zu einem entscheidenden Faktor geworden sind. Die Energiepreise sind zwei- bis dreimal so hoch wie in den USA oder China. Steigende Netztransportgebühren zur Deckung der Investitionen in die Elektrifizierungsinfrastruktur vergrößern diese Kluft noch weiter. Die Befürchtungen einer möglichen Marktbereinigung in Europa werden von führenden Vertreterinnen und Vertretern der Industry und der Politik geteilt. Vor dem Hintergrund dieser Unruhe kann der Anzug in Richtung Netto-Null Emissionen als weniger vorrangig angesehen wahrgenommen werden.

High EU energy prices
  Figure 1: by courtesy of the European Union “Powering the Clean Industrial Deal”  

 

Als Reaktion darauf hat die Europäische Kommission den CID eingeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung der Industrie zu fördern. Der Schwerpunkt liegt dabei auf energieintensiven Branchen, die dringend Unterstützung bei der Dekarbonisierung und Elektrifizierung benötigen. Zusätzlich werden dabei umweltfreundliche Technologien in das Zentrum der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums gestellt. Ziel ist es, niedrigere Energiekosten zu erreichen, Investitionen anzuziehen und die Versorgung sicherzustellen. Im Mittelpunkt steht ein dreiseitiger Vertrag zwischen energieverbrauchenden Branchen, den Mitgliedstaaten und Produzenten sauberer Energie.

Ob sich der CID als der von vielen sehnlichst erwartete Wendepunkt erweisen wird, bleibt abzuwarten. Die Hoffnungen sind groß; er könnte durchaus das richtige Instrument zur richtigen Zeit sein. Der Plan liegt vor; nun ist es an den Mitgliedstaaten, Führungsstärke zu zeigen und die Initiative gegenüber der Industrie und den Energieerzeugern zu ergreifen. Heute, nicht morgen.

Die Energiepreise in der EU sind mehr als doppelt so hoch wie in den USA oder China.

Was passiert heute?

Damit der CID auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgreich sein kann, müssen Lösungen für die wichtigsten Probleme gefunden werden. Die Überwindung dieser Hürden könnte Europa auf dem Weg zu einer umweltfreundlichen und wettbewerbsfähigen Industrie beschleunigen. Zunächst einmal ist es jedoch hilfreich, die wichtigsten Herausforderungen zu verstehen.

Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit, die beiden Hauptelemente des CID, sind langfristig eng miteinander verflochten, um eine Wertschöpfung und den Betrieb der Industrien zu gewährleisten. Kurzfristig können sie jedoch einige Investitionsentscheidungen, die Auswahl von Technologien und deren Umsetzung erschweren. Außerdem steigt insgesamt die Bereitschaft, für umweltfreundliche Produkte zu zahlen, wenn auch oft noch in Nischenmärkten.

Zweitens spielen die Mitgliedstaaten, die Industrie und der Energiesektor nun eine Schlüsselrolle bei der Annahme und aktiven Umsetzung des CID. Alle Mitglieder - nicht nur diejenigen mit vielen energieintensiven Industrien, da alle energieverbrauchenden Industrien betroffen sind - spielen hier eine Rolle bei der Sicherung einer zukunftsfähigen Zukunft Europas.

Drittens ist das Stromnetz in einigen Ländern nicht in der Lage, die Elektrifizierung von Industrie und Haushalten zu bewältigen. Es sind erhebliche Investitionen in die Netzinfrastruktur erforderlich, wobei einige Netzbetreiber Kosten prognostizieren, die in den kommenden Jahren 10.000 Euro oder mehr pro steuerzahlendem Einwohner erreichen könnten! Diese Kosten entsprechen zwar einem pessimistischen Szenario, rechtfertigen jedoch Investitionen in andere Elektrifizierungslösungen - und glücklicherweise gibt es diese auch.

Nicht zuletzt fehlt es allgemein an einer Industriepolitik, die uns Orientierung gibt, welche Branchen als Teil einer zukunftssicheren, sicheren und unabhängigeren EU gelten und welche nicht. Dies ist notwendig, aber schwierig, da jede Empfehlung oder Entscheidung zu heftigen Protesten und wahrscheinlich zu rechtlichen Schritten seitens derjenigen Branchen führen wird, die nicht ganz oben auf der Liste stehen. Allerdings finden diese Diskussionen nun statt, wo sie bis vor kurzem noch tabu waren. Dies könnte zu neuen Erkenntnissen und möglichen zusätzlichen unterstützenden Rahmenbedingungen für bestimmte Branchen und europäische Regionen führen.

Sind wir bereit, zu entscheiden, welche Branchen für die Unabhängigkeit, Wirtschaft und Sicherheit der EU von entscheidender Bedeutung sind? Uns darauf zu einigen, welche EU-Regionen bestimmten Branchen langfristiges Potenzial bieten – in diesen Regionen oder überall in der EU, wo diese Branchen derzeit angesiedelt sind. Hier sollte die EU den Weg der Maximierung der Wertschöpfung ihres Branchenportfolios einschlagen und einen klugen Ausgleich mit den benötigten Rohstoffen schaffen, um die Widerstandsfähigkeit Europas zu erhöhen.

Sind wir bereit zu entscheiden, welche Industrien für die Unabhängigkeit, Wirtschaft und Sicherheit der EU von zentraler Bedeutung sind und welche nicht?

 

Attracting investment and ensuring delivery
  Figure 2: by courtesy of the European Union “Powering the Clean Industrial Deal”  

Es noch einmal möglich machen!

Kohlenstoffarme oder kohlenstofffreie Produkte schaffen neue Märkte, und die Nachfrage steigt stetig, wobei Märkte wie Lebensmittel, Metall und der Sektor umweltfreundlicher Technologien eine Vorreiterrolle einnehmen.
Die ersten bedeutenden Schritte wurden durch Energieeffizienz und Technologien von erneuerbarer Elektrifizierung bis hin zu Wärmepumpen, alternativen Kraftstoffen und mehr unternommen. Um jedoch emissionsfrei zu werden, sind erhebliche zusätzliche Investitionen in industrielle Produktionsanlagen und in vielen Regionen zusätzliche öffentliche (Energie)-Infrastrukturen erforderlich.

Die jüngsten geopolitischen Veränderungen haben uns an einen Scheideweg gebracht: Sollten wir unsere Abhängigkeit von anderen in Bezug auf Energie, Rohstoffe und Sicherheit verringern oder nicht? Die Energiewende und erneuerbare Energien bieten eine einzigartige Chance für mehr Unabhängigkeit und attraktive Energiepreise. Die Stromgestehungskosten für erneuerbare Energien einschließlich Speicherung (LCOE) liegen unter denen fossiler Energien.

Der EU „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) reift heran, Probleme werden ausgebügelt, und auch wenn er noch lange nicht perfekt ist, schafft er doch gleiche Wettbewerbsbedingungen für die EU-Industrie.

Für Länder, die mit hohen Investitionen in das Stromnetz konfrontiert sind, um die Elektrifizierung zu bewältigen, könnten Lösungen schneller als erwartet gefunden werden. Jüngste Entwicklungen zeigen, dass ein intelligentes Netzmanagement, einschließlich Anreizen für die Nachfragesteuerung, einen Großteil der Überlastungs- und Anschlussprobleme mit kurzer Vorlaufzeit und zu einem Bruchteil der Kosten für den physischen Ausbau des Netzes lösen kann. Sowohl der (begrenzte) Ausbau des Netzes als auch der Weg zu einem intelligenten Netz sollten dort umgesetzt werden, wo die Wirtschaft und die Industrie auf dem Spiel stehen.

Es liegt nun an den Mitgliedstaaten, zu handeln, eine Führungsrolle zu übernehmen und energieintensive Industrien und Produzenten umweltfreundlicher Energie zusammenzubringen. Sie müssen strategische Netto-Null-Technologien auswählen und die heimische Produktion unterstützen. Es ist zu erwarten, dass die Länder wie üblich bei der Umsetzung der EU-Politik unterschiedliche Geschwindigkeiten an den Tag legen werden.

Die Entscheidung, welche Branchen in einem sauberen, erschwinglichen und sicheren Europa zukunftsfähig sind, ist schwierig und stößt auf großen Widerstand. Da sich das Thema rasch von einem langjährigen Tabu zu einer offenen und berechtigten Diskussion entwickelt hat, könnte es durchaus einen echten Einfluss auf die Industriepolitik oder Anreize der kommenden Jahre haben.

Die Europäerinnen und Europäer sind kreativ und verfügen über die drittgrößte kontinentale Wirtschaft mit einer starken Präsenz in der fortschrittlichen Fertigung sowie digitalen und Finanzdienstleistungen, während sie gleichzeitig weltweit die Emissionsreduzierung und Lebenserwartung anführen. Die Industrie der EU macht satte 23 % des BIP aus, erreicht durch Menschen vieler verschiedener Kulturen und Sprachen, die in einer turbulenten Welt zusammenarbeiten.

Ich bin zuversichtlich, dass Europa wettbewerbsfähig und emissionsfrei werden kann, wenn wir den aktuellen Druck nutzen, um gemeinsam voranzukommen. Die 450 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Europas können und werden den Unterschied machen, so wie es auch mehrere Generationen vor uns getan haben. Das wird ohne Anstrengungen nicht gelingen, aber Europa kann es schaffen – diesmal mit umweltfreundlichen und wettbewerbsfähigen Industrien, die weltweit positive Auswirkungen haben.

08.07.2025 07:00:00