4/2022

Europäische Energiewende durch Krieg in der Ukraine nicht gefährdet

Während Europa infolge des russischen Einmarsches in die Ukraine um die Absicherung seiner Energieversorgung ringt, zeichnet sich auch an vielen anderen Fronten Ungewissheit ab. Wird sich die europäische Reaktion auf die globalere Krise – den Klimawandel– durch einen Verzicht auf russisches Erdöl und Erdgas beschleunigen oder verlangsamen?

Sverre Alvik

Sverre Alvik

Director of Energy Transition Research, DNV. Sverre is responsible for DNV’s Energy Transition Outlook, a forecast of the world’s energy system through to 2050. He coordinates DNV’s effort of understanding the energy transition and how it will impact DNV’s customers and industries. Sverre has worked more than 20 years in DNV in the energy and maritime industry with strategy and politics, research & innovation, environment and sustainability, technology and finance and the interface between them. He has written a number of papers and publications on these topics.

Es ist nicht einfach, eine Antwort auf diese Frage zu finden, da sie nicht zuletzt von Ausmaß und Dauer des Krieges abhängig ist. Unser Fazit lautet derzeit, dass eine bessere Absicherung der Energieversorgung nicht auf Kosten einer Dekarbonisierung stattfinden wird und dass sich die Energiewende in Europa sogar ein wenig beschleunigen dürfte.

Dieser Beitrag schildert die derzeitige Sicht von DNV darauf, wie sich der Krieg kurz-, mittel- und langfristig auf die europäische Energiewende auswirken wird. 

Unser Hauptaugenmerk gilt den Auswirkungen der derzeitigen Entwicklung und soll nicht als Grundlage für Empfehlungen zu Maßnahmen dienen. Der vorliegende Kommentar beschränkt sich auf die Folgen der aktuellen Entwicklung in Europa.

DNV erläutert an anderer Stelle ("Pathway to Net Zero Emissions", DNV, 2021), wie die Welt ihre im Rahmen des Pariser Abkommens eingegangenen Verpflichtungen einhalten könnte. Die Ergebnisse aus dem Energiewendemodell von DNV unterstützen die hier dargelegten Schlussfolgerungen zwar, es sei hiermit jedoch ausdrücklich auf die Unsicherheit bei der Quantifizierung hingewiesen. Darüber hinaus muss eingeräumt werden, dass es aufgrund einer tiefgreifenden humanitären Krise in einer geografisch begrenzten Region der Welt zu einem leicht beschleunigten Fortschritt im Hinblick auf die Pariser Vereinbarungen kommt.

Sicherheit der Energieversorgung

Die europäischen Entscheidungsträger sind entschlossen, die Abhängigkeit der EU von russischem Gas in diesem Jahr um zwei Drittel zu verringern. Die Ablösung wird schmerzhaft und kostspielig sein, wobei der verstärkte Import von LNG im Mittelpunkt steht.

Etwa ein Drittel des europäischen Erdgasbedarfs dient zum Heizen und Kochen, und ein weiteres Drittel wird für die Stromerzeugung verwendet. Knapp zwanzig Prozent entfallen auf die verarbeitende Industrie, und der Rest wird von der Petrochemie und der Erdgasbranche bei der Produktion verbraucht. 

Die Entscheidungsträger in den europäischen Ländern beabsichtigen, die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas dieses Jahr um zwei Drittel zu reduzieren. Dieser Wechsel wird nicht einfach sein und einiges kosten, wobei der Import von LNG im Mittelpunkt steht. 

Europa besitzt jedoch derzeit nicht genügend Kapazitäten für die Regasifizierung, und Standorte in Norwegen, Algerien und Aserbaidschan, die an das europäische Erdgasfernleitungsnetz angeschlossen sind, können ihre Produktion nur schrittweise steigern. Es dürfte sich als schwierig erweisen, bis zum Jahresende zwei Drittel der Importe aus Russland durch geeignete Alternativen zu ersetzen, weshalb die Sicherheit der europäischen Energieversorgung von weiteren Maßnahmen abhängt, die zum Beispiel im 10-Punkte-Plan der IEA (IEA, 2022) angeführt sind. Abgesehen davon, dass die Bevölkerung dazu angeregt werden muss, weniger Strom zu verbrauchen, könnten gezielt koordinierte Maßnahmen ergriffen werden, die für eine Zunahme der Energieeffizienz, Verzögerungen hinsichtlich der Stilllegung von Kernkraftwerken und einen beträchtlichen Ausbau im Bereich erneuerbare Energien sorgen. Europa bemüht sich, gesetzliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen und sicherzustellen, dass zur besseren Absicherung der Energieversorgung bereits in einem frühen Stadium hochskaliert und längerfristig das Ziel der Emissionsfreiheit erreicht werden kann.

Es besteht auf jeden Fall die Möglichkeit, in diesen Bereichen einiges voranzutreiben: Belgische Atomkraftwerke, französische Wärmepumpen, deutsche Solaranlagen sowie Windkraftanlagen in ganz Europa werden dazu beitragen, dass die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland insgesamt abnimmt. Einige dieser Optionen können bereits dieses Jahr für einen Unterschied sorgen, bei anderen wird es mehrere Jahre dauern, ehe sie sich bemerkbar machen. Durch entsprechende Regierungskampagnen bewirkte Verhaltensänderungen in der Bevölkerung im Hinblick auf das Reisen sowie das Beheizen von Wohnraum können sich umgehend auswirken. Diese Auswirkungen sind zwar wahrscheinlich recht gering, besitzen jedoch durchaus Entwicklungspotential.

Nichtfossile Energieträger sowie eine höhere Energieeffizienz können und werden sicher eine wichtige Rolle spielen, doch was die Energiewende betrifft, sind auch Gegenkräfte im Spiel. Hierzu gehört zum Beispiel das Verbrennen von Kohle statt Erdgas oder auch ein durch steigende Rohstoffpreise bedingter Anstieg der Kosten für Fahrzeugbatterien und Photovoltaikmodule. 

An dieser Stelle wirken die Bemühungen um eine Absicherung der Energieversorgung den Zielen der Energiewende leider entgegen. Andere Auswirkungen des Krieges, die nicht direkt mit der Absicherung der Energieversorgung verknüpft sind, wie eine Abnahme des globalen Handelsverkehrs und der globalen Kooperation (beispielsweise die Anpassung globaler Logistik angesichts einer drohenden Hungerkrise) und eine Knappheit wichtiger Mineralrohstoffe könnten die Energiewende ebenfalls abbremsen.

Modellierung der Energiewende

Das System-Dynamics-Energiewendemodell von DNV bietet Einblicke in die Art und Weise, wie sich Wirtschaft, Technologien, Industriezweige, Regionen und politische Strategien gegenseitig beeinflussen.

Die nächste Ausgabe unseres alljährlichen Energy Transition Outlook erscheint zwar erst im Oktober, mithilfe unseres Modells haben wir jedoch schon jetzt untersucht, wie sich die Veränderungen seit dem 24. Februar dieses Jahres wahrscheinlich auf die Energiewende in Europa auswirken werden. 

Die größten Unsicherheitsfaktoren sind mit dem Krieg selbst verknüpft: seine Dauer und eine eventuelle Eskalation sowie die Möglichkeit, dass verstärkte Gegenmaßnahmen den Export von russischem Erdöl und Erdgas nach Europa komplett zum Erliegen bringen. Es ist zwar wahrscheinlich, dass Europa an den im Klimaplan „Fit für 55“ genannten Zielen festhalten wird, die Reaktion der Bevölkerung auf die Energiepreise könnte jedoch dazu führen, dass dieses Vorhaben kurzfristig etwas an Schwung verliert. Es gibt noch viele andere Unwägbarkeiten, so zum Beispiel die Frage, ob es durch den Krieg zu einem neuen „kalten Krieg“ kommt oder ob er in einer Entspannung der Situation enden wird. 

Angesichts dieser Ungewissheit haben wir uns für ein Szenario entschieden, in dem das europäische Energiesystem den Import von Erdgas aus Russland bis 2025 allmählich komplett einstellt. 

Höhere Energiepreise

Der russische Anteil an der globalen Erdgasförderung beträgt etwa 17%, und die Importe aus Russland deckten im Jahr 2020 insgesamt 33% des europäischen Erdgasbedarfs. Wenn wir in unserem Modell die Erdgaseinfuhr aus Russland im Jahr 2023 um 80% drosseln und im Jahr 2025 ganz einstellen und dabei die resultierenden höheren Gaspreise berücksichtigen, dann machen sich Auswirkungen auf andere Bereiche, wie die Strompreise, bemerkbar. 

Der Strompreis wird im Jahr 2024 zum Beispiel 12% höher sein als bei einer Prognose ohne Veränderung des Energieimports aus Russland. Der Krieg führt im Vergleich zu diesem Modell, das aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg stammt, auf globaler Ebene innerhalb von zwei Jahren hauptsächlich aufgrund eines geringeren BIP zu einem um 3% geringeren Energiebedarf.

Alternativen zum Erdgas

Zur Berücksichtigung einer in den nächsten Jahren schrittweise reduzierten Abhängigkeit von russischem Erdgas haben wir im Modell die russischen Erdgasexporte nach Europa für das Jahr 2022 um durchschnittlich 40%, für 2023 um 80% und für 2024 um 90% verringert und dann ab 2025 komplett eingestellt.

Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, war festzustellen, dass Europa (einschließlich Norwegen und Vereinigtes Königreich) innerhalb von zwei Jahren die eigene Produktion um 420 PJ steigert, während die Einfuhr – hauptsächlich von LNG – aus dem Nahen Osten und den USA um 4100 PJ zunimmt. So ergibt sich ein Erdgasdefizit beziehungsweise eine Verbrauchsreduzierung von 1740 PJ. Ein Großteil davon wird durch andere Energiequellen gedeckt, doch aufgrund des fallenden BIP, der höheren Energiepreise sowie besserer Energieeffizienz wird sich der Nettoverbrauch auch leicht verringern.

Die Art der Erdgasalternative ist vom jeweiligen Einsatzbereich abhängig. Wachstum und eine bessere Umweltverträglichkeit der Stromerzeugung und somit eine Verringerung des Kohlenstoffgehalts bei Endanwendungen im Transportsektor, Bauwesen und verarbeitenden Gewerbe gelten als wichtige Bestandteile einer umweltfreundlicheren Energieversorgung für Europa. Erneuerbare Energie und Atomkraft zeichnen sich durch geringe Betriebskosten aus und stehen daher in unserer Analyse im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis ganz oben auf der Liste. Die Energiemengen, die sich damit erzeugen lassen, reichen kurzfristig als Ersatz für das fehlende Erdgas nicht aus, so dass statt Erdgas Kohle benutzt werden muss, die aufgrund des Krieges allerdings ebenfalls teurer geworden ist. Der Wechsel zu Kohle ist zeitlich befristet. Das Modell zeigt, dass Kohle als letzte Ausweichmöglichkeit bei den fossilen Brennstoffen bis zum Jahr 2024 lediglich 6% der reduzierten Erdgasversorgung wettmacht.

Die verzögerte Stilllegung von Kernkraftanlagen sowie eine verstärkte Nutzung der vorhandenen KKW wirken sich kurzfristig günstig aus, und zu dieser Entwicklung kommt es wahrscheinlich in einigen Ländern, mit Ausnahme von Deutschland. Atomkraft wird im Jahr 2024 etwa ein Drittel des fehlenden Erdgases ersetzen.

Die Kosten für Bioenergie sind im Gegensatz zu den meisten anderen Energiequellen durch den Krieg nicht gestiegen, und in diesem Bereich ist hauptsächlich bei Klär- oder Deponiegas in den nächsten Jahren noch ein gewisser Zuwachs möglich. Unseren Berechnungen zufolge ersetzt Bioenergie im Jahr 2024 etwa 20% des fehlenden Erdgases.

Die wichtigste von europäischen Politikern vorgeschlagene Maßnahme zur Sicherung der Energieunabhängigkeit – ein umfassender und schneller Ausbau erneuerbarer Energiequellen – trägt hingegen erst wesentlich später Früchte. Durch den schnelleren Ausbau können zum Beispiel erst nach zwei Jahren 10% des fehlenden russischen Erdgases ersetzt werden. Das heißt zwar für 2023, dass die Auswirkung recht gering ist, sie nimmt jedoch von Jahr zu Jahr zu. Über einen Zeitraum von fünf Jahren entspricht der Ausbau bei den erneuerbaren Energien der von der EU angestrebten Steigerung um 20%, und bis 2030 werden Solar- und Windkraftanlagen mehr als die Hälfte des fehlenden Erdgases ersetzen.

Steigende Rohstoffpreise treiben die Batteriekosten in die Höhe. Dies wirkt sich negativ auf den Absatz von Elektroautos aus, so dass es sich wohl erst im Jahr 2028 bei 50% aller Neuwagen in Europa um Elektroautos handeln wird –fast ein Jahr später als bisher angenommen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die langfristige Dekarbonisierung und führt zu einer gewissen Verzögerung bei der Abwendung vom Erdöl. Länder mit ehrgeizigen Umweltzielen für 2030 müssen Anreize für den Erwerb von Elektrofahrzeugen überdenken und möglicherweise noch attraktiver gestalten.

Nichts hat geringere Kosten und einen geringeren Fußabdruck als nicht verbrauchte Energie, und Europa bemüht sich verstärkt um Energieeffizienz, um seine Energieunabhängigkeit zu gewährleisten.

Wenn wir uns den prozentualen Anteil des Erdgasverbrauchs anschauen, so sinkt dieser im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorkriegsmodell um 1700 PJ beziehungsweise 9%. Der Bereich Solarenergie dürfte mit einem Zuwachs von 9% den höchsten prozentualen Anstieg verzeichnen. Die Auswirkung auf den Energiemix ist jedoch recht begrenzt, wenn man bedenkt, dass der Primärenergiebedarf Europas insgesamt 70 EJ beziehungsweise 70.000 PJ beträgt. Durch die Abwendung vom Erdgas erhöht sich der aus nichtfossilen Energiequellen stammende, dekarbonisierte Anteil des Energiemixes im Jahr 2024 auf 34% und liegt somit 2% über der vor dem Krieg erfolgten Prognose. Diese geringe Steigerung hält sich über die Jahre, so dass der Anteil bis 2030 dauerhaft 2% höher liegt als in der Vorkriegsprognose.

Nichts verursacht geringere Kosten und Auswirkungen als nicht benötigte Energie, und deshalb konzentriert man sich in Europa verstärkt auf das Thema Energieeffizienz. Hier wäre insbesondere die Förderung von Wärmepumpen zu nennen, und dadurch steht zu erwarten, dass sich der Gesamtenergiebedarf von Haushalten bis 2030 um weitere 4% verringern wird, wobei hocheffiziente Wärmepumpen Erdgas teilweise ersetzen. Eine Verbesserung der Energieeffizienz an sich stellt ein wichtiges Element dar, das zur Einschränkung des Energieverbrauchs beiträgt, und aus diesem Grund erreichte der Primärenergieverbrauch in Europa bereits vor 15 Jahren seinen Höhepunkt, während er auf globaler Ebene um das Jahr 2030 herum zu erwarten ist.

Wasserstoff

Wasserstoff gilt als weitere wichtige Säule der Absicherung einer unabhängigen europäischen Energieversorgung sowie eines umweltfreundlichen Energiemixes. Das Hauptproblem besteht hier im Preis.

Aus Deutschland ist zu hören, dass die Energiekrise den Widerstand gegenüber blauem Wasserstoff aufweichen lässt (Recharge, 2022). Wenn Europa russisches Erdgas dringend durch andere Energiequellen ersetzen muss, ist es jedoch relativ unwahrscheinlich, dass beträchtliche Mengen Erdgas für die Produktion von blauem Wasserstoff zur Verfügung stehen werden. Zudem sind die Gaspreise derzeit so hoch, dass blauer Wasserstoff angesichts der mit der Abtrennung des Kohlenstoffs sowie dessen Lagerung einhergehenden Kosten kaum konkurrenzfähig sein dürfte. Selbst wenn blauer Wasserstoff in den nächsten Jahren billiger bleiben sollte als grüner Wasserstoff, der über Elektrolyse mithilfe von erneuerbaren Energien erzeugt wird, so wird er bis 2030 doch kaum und infolge des Krieges eher noch weniger Einsatz finden.

Europa besitzt kaum genug Kapazitäten für das Erzeugen von ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen, so dass es unwahrscheinlich ist, dass damit einerseits die fossilen Brennstoffe im Energiemix stufenweise reduziert und gleichzeitig nennenswerte Mengen an grünem Wasserstoff erzeugt werden können. Entscheidungsträger betrachten jedoch weiterhin beide Ziele als Prioritäten. Dementsprechend ist zu erwarten, dass grüner Wasserstoff aufgrund der Ausrichtung auf erneuerbare Energiequellen stärker gefördert wird, und wir haben deshalb bei unserem Modell einen im Vergleich zur Ausgangssituation für 2030 um 12% geringeren Wasserstoffpreis benutzt. Trotz stärkerer Förderung wird der Einsatz von grünem Wasserstoff bis 2030, selbst wenn er 25% über unserer Vorkriegsprognose liegt, europaweit gesehen kaum von Bedeutung sein.

Veränderungen im Erdgasbedarf

Russland wird gen Osten schauen und versuchen, so seine Einnahmeverluste im Energieexport wettzumachen, doch die Ausfuhrkapazitäten nach China sowie zu anderen Nachbarn sind derzeit begrenzt, und der Bau neuer Pipelines oder LNG-Terminals nimmt zudem viel Zeit in Anspruch. Somit bleibt festzustellen, dass die Erdgasproduktion in Nordosteurasien, wozu auch Russland, die Ukraine und andere frühere Sowjetrepubliken gehören, im Jahr 2024 um 24% sinken wird, da nicht genügend Infrastruktur für den Erdgastransport vorhanden ist.

Unserer Einschätzung nach wird Europa im Gegensatz dazu bis zum Jahr 2030 selbst 12% mehr Gas produzieren, was die Reaktion der Industrie auf vorläufig höhere Öl- und Gaspreise sowie Versprechungen der EU widerspiegelt, mehr Gas zu liefern. 

Hohe Öl- und Gaspreise werden auf globaler Ebene neue Projekte ankurbeln, doch nach der begeisterten Erschließung neuer Förderstätten wird die Nachfrage im darauffolgenden Jahrzehnt angesichts eines sinkenden BIP und einer rückläufigen Entwicklung der Globalisierung wahrscheinlich ebenfalls eher sinken als steigen, so dass die Bedeutung der Erdöl- und Erdgasproduktion sowie des Transports etwas zurückgeht. Daher steht zu erwarten, dass sich die Öl- und Gaspreise aufgrund von Überinvestitionen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts verringern, und unser Modell zeigt an, dass dies im Vergleich zu unserer Vorkriegsprognose später in den 2030er Jahren zu einer geringen Steigerung des Ölverbrauchs führt.

Geringfügig beschleunigte Dekarbonisierung und Emissionsverringerung

Das Maß für die Verringerung des Kohlenstoffgehalts ist die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, und infolge des Angriffs auf die Ukraine ergibt sich bis 2030 eine leichte Beschleunigung der Dekarbonisierung und Emissionsverringerung. Die Hauptgründe für die Differenz liegen kurzfristig in der verzögerten Stilllegung von Kernkraftwerken und langfristig in einem schnelleren Ausbau erneuerbarer Energiequellen sowie einer gesteigerten Energieeffizienz und geringerem Wirtschaftswachstum. 

Der Gesamteffekt ist jedoch beschränkt und beläuft sich im Vergleich zu einer Situation ohne den Krieg in der Ukraine im Zeitraum von 2022 bis 2030 auf eine Reduzierung der Emissionen in Europa von insgesamt 580 Mt oder 2,3%. Abbildung 2 zeigt, dass die Änderung bei den Emissionen insgesamt fast ausschließlich auf einen geringeren Gasverbrauch zurückzuführen ist, die Änderungen bei den anderen Energiequellen und bei der CO2-Sequestrierung (CCS – Carbon Capture and Storage) fallen vergleichweise gering aus.

Aus heutiger Sicht prognostizieren wir als wahrscheinlichste energiepolitische Folge des Ukraine-Krieges eine leichte Beschleunigung der Energiewende in Europa.

Wir möchten betonen, dass unsere Prognose auf beträchtlichen Ungewissheiten beruht. Diese betreffen hauptsächlich die Dauer und die Folgen des Krieges sowie das Ausmaß und die Gültigkeitsdauer von Maßnahmen der europäischen Staaten in Bezug auf die Absicherung ihrer Energieversorgung und deren Umweltverträglichkeit.

Angesichts der aktuellen Lage dürfte der Krieg in der Ukraine in Bezug auf die Energieversorgung eine geringfügige Beschleunigung der Energiewende in Europa verursachen. Wie schon bei COVID-19 ist auch hier zu erkennen, dass Europa mit einer kurzfristigen Krise umzugehen weiß und dabei die langfristige Klimakrise keineswegs aus den Augen verliert.

Die Auswirkungen des Krieges auf die Energiewende werden global gesehen gering sein. Das System-Dynamics-Modell von DNV erfasst einen Teil der globalen Verflechtungen, wie zum Beispiel Veränderungen im Energiehandel und die Auswirkungen steigender Rohstoffpreise. Es berücksichtigt auch, dass eine Regionalisierung und Energieversorgungabsicherung in Ländern wie China kurzfristig den Einsatz von Kohle ankurbelt und wie der Ausbau erneuerbarer Energiequellen durch höhere Rohstoffpreise abgebremst und gleichzeitig durch das Streben nach einer unabhängigen Energieversorgung beschleunigt wird. Wir werden uns hierzu in unserem Ende des Jahres erscheinenden „Energy Transition Outlook 2022“ noch ausführlicher äußern.


References: 

DNV, 2021 Pathway to net zero emissions, Energy Transition Outlook, 2021, www.dnv.com/eto 

IEA, 2022 A 10 point plan to reduce the European Unions Reliance on Russian Gas, https://www.iea.org/reports/a-10-point-plan-to-reduce-the-european-unions-reliance-on-russian-natural-gas 

Recharge, 2022 Germany and Norway mull pipeline for massive hydrogen imports in wake of Russian war, https://www.rechargenews.com/energy-transition/germany-and-norway-mull-pipeline-for-massive-hydrogen-imports-in-wake-of-russian-war/2-1-1186196

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